Liebe Gemeinde, Freunde und Freundinnen der Gemeinde,
Wenn man von einer „schönen Bescherung“ spricht, dann meint man mit dieser Redensart den gegenteiligen Wortsinn. In diesem Sinne haben wir Weihnachten 2020 sicher in übereinstimmender Sicht von vielen eine „schöne Bescherung“.
Das war noch nie da: Niemand (oder zumindest nicht die Mehrzahl) geht in einen Gottesdienst, um die Menschwerdung Gottes zu feiern. Und dann auch noch die behördliche Anordnung, man dürfe sich nicht privat mit vielen anderen zum Feiern treffen. Zur Geburt Jesu in Bethlehem war das anders. Da war jederman/-frau unterwegs in seine Heimatstadt aufgrund einer behördlichen Anordnung. Doch das Chaos in jenen Tagen dürfte wohl nicht geringer gewesen sein, als in unseren Tagen mit den Reise- und Kontaktverboten. Jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, haben wir kaum mehr als 24 Stunden bis die Kirchen normalerweise den ersten Christvesper-Gottesdienst feiern. Und noch immer können wir nicht gewiss sein, was Heiligabend möglich ist.
„Weihnachten steht vor der Tür und die Debatte über Gottesdienst in Corona-Zeiten nimmt wieder Fahrt auf: Die Kirchen setzten auf Hygiene- und Abstandsregeln statt auf Komplettverbote. Die Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst, Ute Teichert, appelliert allerdings wegen der weiterhin hohen Zahl der Corona-Infektionen an die Politik, Präsenzgottesdienste zu Weihnachten zu verbieten. ][…] Die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karin Maag würde ein Verbot von Gottesdiensten in den Kirchen zu Weihnachten unterstützen.
https://www.tagesschau.de/inland/gottesdienste-corona-103.html; 23.12.2020, 12:20 Uhr
Mich würde es nicht wundern, wenn wir von einem generellen Verbot von Präsenz-Gottesdiensten zu Weihnachten 2020 erst im Nachhinein im neuen Jahr 2021 erfahren. Schöne Bescherung! Was kann einen jetzt noch aufbauen?
Ich lese mehr oder weniger zufällig ein paar Zeilen von Dietrich Bonhoeffer. Weihnachten 1943 ist er bereits inhaftiert. Seine Worte machen mich zunächst nachdenklich und dann bescheiden. Er erinnert sich, wie er als Kind mit seiner Familie Weihnachten gefeiert hat und schreibt an seine Eltern:
Bonhoeffer; Ein Brief aus dem Gefängnis, 17.12.1943
„Liebe Eltern! Es bleibt mir wohl nichts übrig, als Euch für alle Fälle schon einen Weihnachtsbrief zu schreiben. Ich brauche Euch nicht zu sagen, wie groß meine Sehnsucht nach Freiheit und nach Euch allen ist. Ihr habt uns durch Jahrzehnte hindurch so unvergleichlich schöne Weihnachten bereitet, dass die dankbare Erinnerung daran stark genug ist, um auch ein dunkleres Weihnachten zu überstrahlen. In solcher Zeit erweist es sich eigentlich erst, was es bedeutet, eine Vergangenheit und ein inneres Erbe zu besitzen, das von dem Wandel der Zeiten und Zufälle unabhängig ist. Das Bewusstsein, von einer geistigen Überlieferung, die durch die Jahrhunderte reicht, getragen zu sein, gibt einem das sichere Gefühl der Geborgenheit. Vom Christlichen her gesehen kann ein Weihnachten in der Gefängniszelle ja kein besonderes Problem sein. Wahrscheinlich wird in diesem Hause hier von vielen ein sinnvolleres und echteres Weihnachten gefeiert werden als dort, wo man nur noch den Namen dieses Festes hat. Dass Elend, Leid, Armut, Einsamkeit, Hilflosigkeit und Schuld vor den Augen Gottes etwas ganz anderes bedeuten als im Urteil der Menschen, dass Christus im Stall geboren wurde, weil er sonst keinen Raum in der Herberge fand – das begreift ein Gefangener besser als ein anderer, und das ist für ihn eine wirklich frohe Botschaft. “
Dass die „dankbare Erinnerung daran stark genug ist, um auch ein dunkleres Weihnachten zu überstrahlen“, das wünsche ich uns allen. Und ich wünsche uns noch mehr, dass die dankbare Erinnerung an die Verheißungen der Bibel uns zuversichtlich und gelassen das neue Jahr empfangen lässt.
Zum Jahreswechsel erinnern uns die Herrnhuter Losungen an solche Verheißungen:
Altjahresabend
„Meine Zeit steht in deinen Händen“ (Psalm 31,16)
„Der HERR hört mein Flehen; mein Gebet nimmt der HERR an.“ (Psalm 6,10)
„Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei.“ (Johannes 16,24)
Neujahr
Monatsspruch: „Viele sagen: wer wird uns Gutes sehen lassen? HERR, lass leuchten über uns das Licht deines Antlitzes!“ (Psalm 4,7)
„Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit“ (Hebräer 13,8)
Gesegnete Weihnacht und ein gesegnetes neues Jahr in dankbarer Erinnerung,
Reiner Morawe
Pastor